Zusammenfassung
Zur Entwicklung einer bedarfsgerechten kommunalen Gesundheitspolitik wurde 1997 in
NRW mit Inkrafttreten des Gesetzes über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDG)
die Umsetzung zweier neuer Aufgabenbereiche in den Gesundheitsämtern verpflichtend:
kommunale Gesundheitsberichterstattung (GBE) und kommunale Gesundheitskonferenz (KGK).
Diese neuen Aufgaben dienen als Steuerungs- und Planungsinstrumente für eine verbesserte
gesundheitsbezogene Versorgung vor Ort. Ihre zentrale Zielsetzung liegt in der wissensbasierten
(Mit-)Gestaltung einer kommunalen Gesundheitspolitik, also eines Politikfeldes, an
dessen Konturierung (neben den lokalen Akteuren des Gesundheitswesens) insbesondere
auch die Entscheidungsträger des kommunalen politisch-administrativen Systems (PAS)
beteiligt sein sollen. Im Kreis Heinsberg sind seit Mitte der 90er Jahre sowohl die
Gesundheitskonferenz als auch die Gesundheitsberichterstattung etablierte Aufgabenbereiche
des Gesundheitsamtes. Vor dem Hintergrund dieser langjährigen Erfahrung wurde die
vorliegende Studie mit dem Ziel konzipiert, gesundheitsbezogene Einstellungen, Entscheidungsmuster
und berufliche Aktivitäten der im kommunalen Politik- und Verwaltungssystem tätigen
Entscheidungsträger zu analysieren. Anlass für die Studie war die nach wie vor bestehende
„Zurückhaltung” der meisten politischen und administrativen Führungskräfte die neuen
Planungsinstrumente für gesundheitsbezogene Entscheidungsprozesse und Agenda Setting
zu nutzen. 44 Führungskräfte aus Politik und Verwaltung (Bürgermeister, Partei/Fraktionsvorsitzende,
Dezernenten, Amtsleiter) wurden mündlich mit einem standardisierten Fragebogen interviewt.
Die befragten Führungskräfte sind nach eigenen Angaben mit einer Reihe von Aufgaben
mit gesundheitlichen Aspekten befasst, obwohl der Schwerpunkt ihrer Zuständigkeit
außerhalb des Gesundheitsbereiches liegt. Die Anknüpfungspunkte an ein Politikfeld
„kommunale Gesundheit” sind den Befragten sehr bewusst. Dies führt allerdings nicht
zu einer aktiven Handhabung der beiden Steuerungsinstrumente GBE und KGK sei es durch
gesundheitsbezogene Themenvorschläge oder durch die Teilnahme an den Diskussionen
und Beschlussfassungen in der Gesundheitskonferenz. Die Entscheidungsträger des PAS
bringen gesundheitsbezogene Themen weiterhin in ihre etablierten Diskussions- und
Entscheidungsforen ein und wechseln kaum in einen anderen Kommunikationszusammenhang,
der inhaltlich möglicherweise geeigneter wäre (z. B. die KGK). Die Entscheidungsträger
des PAS haben offensichtlich einen eigenen, spezifischen Informationsbedarf, der künftig
berücksichtigt werden sollte. Die Gesundheitskonferenz wird bisher vor allem von den
Akteuren des Gesundheitswesens als Plattform für Prioritätensetzung und Herstellung
von Verbindlichkeit für gemeinsame Maßnahmenumsetzung genutzt. Kaum gelang aber eine
politikfeldübergreifende Vernetzung, also eine Kooperation mit Akteuren aus der Kommunalverwaltung
mit formell „gesundheitsfernen” Verantwortungsbereichen, die aber sehr wohl auch gesundheitsbezogenen
Aufgaben enthalten. Dies gilt auch für die politischen Entscheidungsträger, deren
Mandat sich generell auch auf die gesundheitsbezogene Daseinsvorsorge bezieht. Hier
ist insbesondere die Gesundheitsfachverwaltung aufgefordert, den politischen und administrativen
Entscheidungsträger noch nachdrücklicher als bisher zu verdeutlichen, dass die Gesundheitskonferenz
eine organisatorisch-institutionelle Plattform zur Konsensbeschaffung für Problembewertungen
und allgemein akzeptierte Aufgabendurchführung bietet vor allem auch für gesundheitsbezogene
Aufgaben, die im Schnittstellenbereich von „kommunaler Gesundheit” und anderen Politikfeldern
liegen.
Abstract
In 1997 the new law about Public Health Service (ÖGDG) in Northrhine-Westfalia was
put into operation. It included two new sets of compulsory tasks: local health reporting
(GBE) and local health conferences (KGK). These new tasks are installed as planning
and steering instruments aiming for a better health-care on the local level. The central
object is the knowledge-based formation of local health policies. Thereby, local representatives
concerned with health and social services should participate as well as administrators
and politicians. Since the middle of the 1990 s both new tasks have been established
by the public health department of the county of Heinsberg in Northrhine-Westfalia.
The experience of this department over almost ten years is the background for the
empirical research project that is described in this paper. The study investigates
the vocational practices, the decision-making and the health-related attitudes of
the relevant local administrative and political representatives. The impulse for the
start of the study was given by the constant reluctance of political and administrative
top managers to make use of these new planning instruments in agenda setting and decision
making. 44 high-ranking staff members and politicians (mayors, party chairmen, heads
of departments far beyond the health office) were personally interviewed. Although
they are not part of the health administration they claim to be occupied with quite
a few health-related tasks. The overlapping of their set of tasks with the local health
policies is evident for the interviewed managers. How-ever, this does not cause them
to use the two new planning instruments. In particular, they do not participate in
the local health conferences. They rather prefer the traditional path of policy making
(parties, committees, fractions) even if these paths are less efficient than the new
ones. The health conference is much more used by health-service providers as a platform
for setting priorities and organising their implementation effectively. So far, the
inclusion of the other local representatives (administrative managers, etc.) although
they are concerned with health issues has not been achieved. This is also true for
local politicians who are responsible for health-care policies. The authors of the
paper see it to be the task of the local public health department to convince all
these players that the health conference is a productive tool and a useful platform
for the discussion of the health problems in the county and the coordination of necessary
actions to be taken. The most important focus point is seen in the intersection of
health policies with other local policies.
Schlüsselwörter
kommunale Gesundheitspolitik - public health - Gesundheitsplanung - Gesundheitskonferenz
- Gesundheitsberichterstattung
Key words
communal health policy - public health - communal health conferences - communal health
reporting
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